“Über Märchen”, Zensur und Kindesförderung

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Stammtischmitglieder bei der Stadtführung

Beim Tolkien Stammtisch Vogelsberg im Oktober in Herbstein haben wir nicht nur einen wunderbaren Stadtrundgang gemacht, sondern uns beim Abendessen auch noch ausführlich mit Tolkiens Essay „Über Märchen“ beschäftigt.

Ich habe versucht die Hauptthesen kurz zusammenzufassen, was manchmal sicher etwas holprig klang, weil ich natürlich nur eine englische Ausgabe des Artikels („On Fairy-stories“, in: The Monsters and the Critics and Other Essays. London: HarperCollins, 1997) zur Hand hatte. Es gab einige Nachfragen zu weiteren Details, und es entwickelte sich eine spannende Diskussion.

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Die besten Märchen eignen sich für Erwachsene genauso wie für Kinder, sagt Tolkien. Das trifft sicher auch auf die Ausstellungsstücke im Herbsteiner Statt Museum zu.

Unter anderem stellten wir fest, wie sympathisch wir Tolkiens Aussage finden, dass man Kindern möglichst keine verkürzten, zensierten oder ‚kindgerechten‘ Texte vorgeben sollte, sondern dass sie durchaus auch solche lesen sollten, die sie beim ersten Lesen nicht gleich verstehen müssen. Denn Bücher sollten für Kinder wie Kleider sein: sie sollten Raum zum Wachsen bieten (s. S. 138). Daran anknüpfend fiel uns die noch relativ aktuelle Diskussion zur Veränderung von problematischen Ausdrücken in Neuauflagen von Kinderbuchklassikern – z.B. der Negerkönig in Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf – ein. Statt das Wort zu belassen und einen natürlich essentiellen Hinweis zur Problematik des Ausdrucks, zum Beispiel in einer Fußnote, hinzuzufügen, haben einige Verlage politisch inkorrekte Worte einfach ersetzt (hier durch Südseekönig). Die Chance einen spannenden und anregenden Diskurs über Zeit- und Sprachgeschichte anzufachen wird vertan; das von Tolkien postulierte Fordern und Fördern des Kindes bei der Lektüre bleibt bei einer solchen Herangehensweise aus.

Artikel vorab erschienen auf www.tolkiengesellschaft.de.

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